Kreuz und quer
Di., 29.10.2019
22:35 Uhr, ORF 2
„Es ist vollkommen in Ordnung, dass ich gehe. Ich habe keine Schmerzen. Alles ist erledigt und ich bin bereit zu gehen.“, sagt Hannelore Dörfler, die seit einem eineinhalb Jahren an Krebs leidet und seit März 2019 auf der Palliativstation des Hospiz-Rennweg liegt. Sie ist eine von 21 Patienten, die ihre letzten Tage hier in der Obhut des einfühlsamen Personals und der ehrenamtlichen Unterstützer verbringen.
Auf der Palliativstation im Hospiz-Rennweg sind die Ärzte vor allem darum bemüht, den Sterbenden einen schmerzfreien Alltag zu ermöglichen. Physiotherapeuten lindern die körperlichen Verspannungen, helfen den Patienten mobil zu bleiben, verbessern deren Atmen und lindern damit auch die Depressionen der Patienten. Das Pflegepersonal und die ehrenamtlichen Sterbebegleiter sind rund um die Uhr da und leisten eine enorme kraft- und emotionsraubende Arbeit.
Die 80-jährige Anna Hrudnyk aus Wien leidet an Brustkrebs. Die Krankheit im fortgeschrittenen Stadium hat sie dazu gezwungen, den letzten Abschied vorzubereiten. Sie wohnt alleine. Seit wenigen Monaten wird sie von einem mobilen Hospiz-Team betreut. Anna Hrudnyk ist es wichtig zuhause sein zu dürfen, doch sterben möchte sie im Hospiz: „Ich möchte auf keinen Fall in meiner Wohnung sterben. Das will ich meinen Kindern nicht antun“, meint Anna Hrudnyk. „Ich war noch ein Mädchen, als mein Vater starb und ich werde nie vergessen, wie die Nachbarn seinen Sarg aus der Wohnung hinaustrugen. Das war schlimm.“
Warum hat der Tod so einen negativen Platz in der europäischen Gesellschaft? Warum haben wir Angst vor dem eigenen Tod und vor den Sterbenden? Noch vor nicht so langer Zeit war es ganz normal, dass Menschen in der Obhut ihrer Familie und in den eigenen vier Wänden starben. Da blieb der Leichnam eine Weile aufgebahrt und sowohl die Verwandten als auch die Nachbarn konnten von dem Verstorbenen Abschied nehmen. Laut Experten ist das ein besonders wichtiger Prozess in der Trauerarbeit der Familienangehörigen.
Die 15-jährige Schülerin Marlene aus Wien hat vor vier Wochen ihre Mutter verloren: „Ich würde sie gerne fragen, wie es ihr jetzt geht, ob sie uns sieht, ob sie weiß, dass ich sie liebhabe. Ich würde gerne wissen, ob sie noch so starke Schmerzen hat“, erzählt sie der Psychotherapeutin Silvia Langthaler, die die Trauerstation im Hospiz-Rennweg gegründet hat. Sie versucht Marlene zu helfen, den Verlust ihrer Mutter zu realisieren und mit der neuen Lebenssituation zurechtzukommen: „Ich versuche sie dabei zu unterstützen, ihre Trauer zuzulassen und ihre Art zu trauern anzunehmen“.
Dem 61-jährigen Salzburger Alois Hutya prognostizierten die Ärzte, dass er Ostern 2018 nicht erleben würde: „Die Diagnose und die vorausgesagte Lebenserwartung haben mich im ersten Augenblick absolut gelähmt. Doch ich bin ein Sturschädel und habe mir nach einer Weile gedacht: Also, ich habe nichts mehr zu verlieren und werde jetzt erst richtig um mein Leben kämpfen.“
Alois Hutya lebt bereits 18 Monate länger, als ihm vorausgesagt wurde. Die Lebenslust und der Kampfgeist des Krebskranken haben kein Bisschen nachgelassen, obwohl er, an den Rollstuhl gebunden, in seiner Mobilität eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen ist. Ins Hospiz möchte er erst dann, wenn gar nichts mehr geht, sagt er.
Die kreuz&quer-Kamera begleitet Alois Hutya seit einem Dreivierteljahr: Unter Freunden, bei der Arbeit, in seiner Wohnung, in seiner Werkstatt, aber auch bei den ärztlichen Untersuchungen, den Chemotherapien oder auf der Intensivstation. „Ich habe alles geregelt und hänge an nichts und niemanden mehr. Dennoch brauche ich immer eine Aufgabe, einen Plan, sonst würde ich verrückt werden“, erzählt Alois Hutya.
Der Dokumentarfilm „Der Abschied“ ist bemüht dem Zuschauer Einblicke in das Leben und die Gedanken von Menschen zu ermöglichen, die kurz vor ihrem Ableben stehen. Gleichzeitig kommen ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, PflegerInnen und Ehrenamtliche, die sich tagtäglich mit den Problemen von Sterbenden und deren Familienangehörigen auseinandersetzen in dem Dokumentarfilm vor.
© Zoran Dobrić